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Abschied zu Hause

Autor Christine Knauer (GEA)

Wenn Angehörige ihre Verstorbenen bis zur Beerdigung daheim behalten

Für viele Menschen ist die Vorstellung, einen verstorbenen Angehörigen bis zur Beerdigung zuhause aufzubahren, ein Ding der Unmöglichkeit. Warum eigentlich? Früher war es gang und gäbe. Die komplette Familie und Verwandtschaft verabschiedete sich vom Verstorbenen, der nicht selten mitten im Wohnzimmer hergerichtet wurde.

Abschied zu Hause

Das Sterben hat sich heute in Seniorenheime, Krankenhäuser oder Hospize verlagert, so der Tod nicht überraschend kommt. Aber es gibt auch Menschen, die diesen Weg nicht gehen möchten und ihre verstorbenen Angehörigen im häuslichen Umfeld aufbahren lassen. Möglich ist heute sogar eine Hausaussegnung. Wir haben eine Witwe besucht, die ihren toten Mann bis zur Beerdigung im Sterbehaus behielt.

"Ich war so erstaunt, wie würdevoll der Bestatter mit dem Toten umgeht, das glauben Sie gar nicht", berichtet die alte Dame aus dem Ermstal, die unerkannt bleiben möchte. Sie hatte ihre Kinder und Enkel als Rückhalt und alle empfanden die Entscheidung auch im Nachhinein völlig richtig. "Auch meine Kinder haben dabei viel gelernt", betont die 84-Jährige, die trotz ihres hohen Alters noch voll im Leben steht.

Nicht zur Last fallen

Knapp fünf Monate sind jetzt seit dem Todestag vergangen. Über das, was nach dem Sterben kommt, hatte das Ehepaar so direkt nie gesprochen. Ihr Mann, den sie "dr Vatr" nennt, habe wohl angenommen, "des wird d’Muttr scho regla", berichtet sie mit einem Schmunzeln auf dem Gesicht. Sie weiß jedoch noch wie heute, dass sie ihren Mann einmal – fast nebenbei und typisch weiblich-diplomatisch – darüber ins Bild gesetzt hatte, dass es in der Gemeinde, in der sie leben, Rasengräber gibt. Die fielen den Kindern nicht zur Last und der Ehemann liebte grüne Wiesen, weil er schon immer viel Zeit auf seinem Gütle verbracht hatte. Diese Idee gefiel ihm, auch wenn nicht konkret über seine Bestattung gesprochen worden war. Seine taktvolle Frau wusste daraufhin, wie sie ihren Mann eines Tages begraben lassen würde.

Über die Stunden direkt nach dem Tod spricht sie sehr präzise, gefasst und in sich ruhend. Die letzten Atemzüge des schwerkranken Familienoberhauptes erlebte einer der Söhne, der über Nacht dageblieben war um die Mutter zu unterstützen, noch mit. Sie hatte bereits so etwas wie eine Ahnung, dass der Tod kurz bevor stand, denn ihr Mann ließ das Händestreicheln, das ihm sonst gefiel, nicht mehr zu, sondern wehrte ab. "Dr Vatr hot hoim derfa", sagte ihr Sohn ganz ruhig, nachdem der Tod eingetreten war.

Immer sehr gepflegt

Wenn’s irgendwie ginge, das war der Ermstälerin sofort klar, würde sie den toten Ehemann zu Hause behalten bis zur Beerdigung. Da der Bestatter diese Option sofort einräumte, war die Entscheidung gefallen. Körper und Haare wurden gewaschen, die Fingernägel geschnitten, der Verstorbene sorgfältig nass rasiert. Und dies alles im Beisein der Familie, die zuvor vom Bestatter aufgeklärt worden war, was dieser genau tun würde.

"Mein Mann hat sich immer sehr gepflegt", berichtet die Witwe. "Wir haben ihm sein bestes Hemd und nagelneue Unterwäsche angezogen." Und sie fügt hinzu: "Er hat so ein Lächeln gehabt im Sarg. Als ob er sagen wollte, ihr habt es gut gemacht mit mir."

Im Wohnzimmer, wo der Verstorbene im Pflegebett hergerichtet und – umgeben von weißen Tüchern – aufgebahrt wurde – gab es Gelegenheit für alle Angehörigen, junge und ältere, sich vom Familienoberhaupt zu verabschieden. Eine mobile Kühlung, die der Bestatter mitgebracht hatte, sorgte für den Erhalt der menschlichen Hülle bis zur Beerdigung wenige Tage später. "Also, ich hätte meinen Mann doch nicht alleine da unten in der kalten Leichenhalle des Friedhofs gelassen", betont die Mutter fünf erwachsener Kinder.

Sie erlebte viele positive Resonanzen auf ihre Entscheidung, aber auch entsetzte Reaktionen. "Ich könnte nie mit einem Toten in der Wohnung leben", hätten manche eingewandt. Die meisten Freunde und Verwandten seien jedoch sehr angetan gewesen. Man habe gemeinsam in der gemütlichen Küche gegessen, gesungen sowie Blumen und Kerzen aufgestellt.

Da sie lange Abschied nehmen und an allen Dingen rund ums Sterbebett teilhaben konnte, ging die Frau ruhig und gefasst zur Beerdigung. "Wir haben den Tod ganz anders verarbeitet", erklärt sie ohne zu zögern. "So war der Abschied auf dem Friedhof eigentlich nicht so schwer."

Bildquelle: © mickyso / fotolia